Entdeckung: Die Alligatoren von Hernals
- Astrid Holzmann-Koppeter
- 12. März
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. März
Die Sammlungen des Naturhistorischen Museums Wien gelten als hoch geschätzte Archive der Natur. Die Geologisch-Paläontologische Abteilung bewahrt mehr als 5,6 Millionen Objekte. Jetzt kam es zu einer besonderen Überraschung.

Ein besonders wertvoller Sammlungskomplex sind die Knochen und Zähne fossiler Wirbeltiere aus den ehemaligen Tongruben von Hernals im 17. Wiener Bezirk, die im Bereich des heutigen Postsportvereins Wien in der Roggendorfgasse gefunden wurden. Vor 12,2 Millionen Jahren lag das Gebiet nahe der Küste eines warmen Meeres. Robben und Delphine lebten im fischreichen Flachmeer. Ihre Knochen bildeten in den Tongruben eine dünne Schicht.
Hunderte dieser ansonst sehr seltenen Fossilien liegen in den Laden des NHM Wien und werden bis heute von Forscherinnen und Forschern aus der ganzen Welt studiert. Bei einer neuerlichen Untersuchung bemerkte Priv.-Doz. Dr. Ursula Göhlich, die Wirbeltier-Paläontologin des NHM Wien, dass eine der Platten falsch zugeordnet war. Der rechteckige Umriss und die durch tiefe Gruben strukturierte Oberfläche passten überhaupt nicht zu Panzerplatten von Schildkröten. „Da war klar, dass es sich um eine Hautplatte eines Alligators handeln muss“, so Ursula Göhlich.

Bestätigt wurde die Vermutung von Priv.-Doz. Dr. Martin Gross, vom Universalmuseum Joanneum Graz, der das Wiener Fossil mit der umfangreichen Sammlung fossiler Krokodile der Steiermark verglich. „Die steirischen Alligatoren sind fast 4 Millionen Jahre älter als das Wiener Reptil und gehörten zu einer anderen Art. Die Hautschuppen zeigen aber, dass beide eng miteinander verwandt sind,“ so Martin Gross.
Doch konnte das überhaupt sein?
Alligatoren lebten über Millionen von Jahren in Europa. Ihre Blütezeit endete allmählich vor 13,6 Millionen Jahren. Als Ursache vermutete man eine globale Abkühlung, die zum Beispiel dafür sorgte, dass die Korallenriffe rund um das Leithagebirge abstarben. Bisher ging man daher davon aus, dass die letzten Alligatoren etwa eine Million Jahre früher aus Mitteleuropa verschwunden waren als das Hernalser Fossil belegt. Das Fossil ist aber eindeutig.
Es stammt von einem kleinen Alligator der Gattung Diplocynodon. Die Tiere waren etwa 2 Meter lang und lebten in den Sümpfen und Flusslandschaften im Hinterland des Meeres. Wie ihre modernen Verwandten erbeutete sie wahrscheinlich Fische, Vögel, Schildkröten und kleinere Säugetiere. Nur sehr selten gelangten Kadaver dieser Süßwassertiere durch Flüsse bis ins Meer.
Der Hernalser Alligator ist das letzte bekannte Krokodil in Mitteleuropa. Erst vor rund 6 Millionen Jahren erreichten auch echte Krokodile aus Afrika kommend Süditalien. Sie konnten sich aber nicht weiter nach Norden ausbreiten und starben bald wieder aus.
Für das Verschwinden von Diplocynodon hat die Arbeitsgruppe um den Studienleiter Univ. Prof. Dr. Mathias Harzhauser auch eine neue Hypothese. Es dürfte weniger die Abkühlung gewesen, sein, die die Alligatoren vertrieb, denn der moderne Mississippi Alligator kann sogar in gefrorenen Tümpeln überleben. Vielmehr dürfte eine Phase ungewöhnlicher Trockenheit vor etwa 12 Millionen Jahren die Lebensräume der Alligatoren bedroht haben.